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  • ELMEN  „nouveau village“,  Gemeinde Kehlen (LU)

    Das Herzogtum Luxembourg verzeichnet seit Jahren einen starken Bevölkerungszuwachs, insbesondere für die Hauptstadt Luxembourg. Deshalb wurde auf Initiative des Innen- und des Wohnungsbauministeriums u.a. die SNHBM (Société Nationale des Habitations à Bon Marché S.A.) beauftragt, mehrere Entlastungssiedlungen für die Hauptstadt zu entwickeln, u.a. der „nouveau village Elmen“. Hier wird in der Gemeinde Kehlen auf 27 ha in den nächsten 10 Jahren ein Wohnquartier für 2.000 Menschen entstehen, einschließlich der notwendigen Infrastruktur, wie Schule, Kindergarten, öffentlicher Personennahverkehr, Straßen, der kleinteiligen Versorgung für den täglichen Bedarf sowie Büros, Gastronomie und anderer Versorgungseinrichtungen.

    Das Konzept des Architektur- und Stadtplanungsbüro DEWEY MULLER architectes urbanistes, Luxemburg/Köln, erhielt den Zuschlag für die Planung der Siedlung und hat mit LILL + SPARLA Landschaftsarchitekten, Köln, das städtebaulich-/freiraumplanerische- und landschaftsplanerische Konzept des „nouveau village Elmen“ entwickelt.

    Vor den ersten städtebaulichen Konzepten wurde von LILL + SPARLA eine standortökologische Untersuchung erstellt, die nach ökologischen, bodenkundlich/geologischen, topographischen und lokalklimatischen Kriterien die bebaubaren und die für zukünftige Freiräume zu reservierenden Flächen definiert hat. Dabei waren auch große Areale für die Regenwasserretention bereit zu halten.

    Von Anfang an haben Auftraggeber, Stadt-, Freiraum- und Infrastrukturplaner und Ökologen in enger Zusammenarbeit ihre Vision einer weitgehend autofreien Siedlung mit folgenden Leitgedanken verfolgt:
    – kleinteilige, dichte („dörfliche“) Strukturen,
    – ausgewogenes Verhältnis von Dichte und attraktivem Freiraum,
    – stadtökologisch, nutzungsökonomisch optimaler Umgang mit den vorhandenen natürlichen und mit den einzubringenden Ressourcen,
    – kurze Wege in einer weitestgehend autofreien Umgebung,
    – fußgänger- und radfahrerfreundliche Organisation der Quartiere,
    – Einbindung in ein übergeordnetes Radwegenetz,
    – Straßen und Wege werden als Freiräume konzipiert, nutzungsoffen, jedoch soweit definiert, dass Regeln und Verhaltenssicherheit erkennbar werden,
    – eine materielle Ausstattung, mit Wegebelägen, Rändern, Säumen, Grenzen, Hecken, welche die Übersichtlichkeit und Orientierung erhöhen und die Lesbarkeit des städtischen Umfeldes ermöglichen,
    – ein hoher Anteil privater Freiräume, der ergänzt wird durch ein abgestuftes System zunehmender Öffentlichkeit: private Wege, Erschließungswege, eine Sammelstraße, Nachbarschaftsplätze (Places de ruelles), Quartiersplätze (Places du quartier), platzartig erweiterte Wege und der Stadtteilplatz (Place du village),
    – Ausarbeitung eines Ortsrandes, der die Zugängigkeit zur Landschaft gewährleistet und einen Übergang zwischen Siedlung und Landwirtschaft/Landschaft definiert (Gärten, Hecken, Ortsrandweg, Obstbaumreihen, Versickerungsflächen),
    – eine konsequente Ausbildung innerer und äußerer Ränder und Raumkanten, mit Platz- und Raumbildung,
    – drei große öffentliche Parkanlagen, welche die umgebende Landschaft durch das neue Quartier mit dem vorhandenen Siedlungsbereich von Olm verbinden.

    Sozialer Gebrauch

    Neben den stadtökologisch-/freiraumplanerischen Aspekten wurde besonderer Wert auf die Ermöglichung und Entfaltung des sozialen Gebrauchs und der sozialen Kontrolle in den Freiräumen gelegt. Dies wurde erreicht durch die Förderung von Verhaltenssicherheit und zwar durch Ausstattung (Bänke/Spielmöglichkeiten), durch Übersichtlichkeit, durch die Vermeidung von Angsträumen und durch angemessene Beleuchtung. Auch wird das hierarchisch abgestufte System von Freiräumen, mit von privat zunehmend und ablesbar öffentlicher werdendem Charakter des Wohnumfeldes dazu beitragen. Die Aneignung der Freiräume in Elmen wird durch ihre „Lesbarkeit“, durch die Wiedererkennung von anerkannten Strukturen, Oberflächen, Raumfolgen und der Freiraumsystematik gefördert und führt zu einer Wertschätzung des öffentlichen Raums durch Anwohner, Kinder und Jugendliche. Für die öffentlichen Freiflächen werden die materiellen Voraussetzungen geschaffen, so dass sich durch eine hohe Aufenthaltsqualität im Freiraum Nachbarschaften (Konventionen) unter den Beteiligten entwickeln können, die dann nach eigenem Muster über die weitere Nutzung und Gestaltung des Raumes bestimmen und die dadurch Bestandteil des Wohnens im „Dorf“ werden. Die nachhaltige Nutzbarkeit führt zur Identifikation der Bewohner mit ihrem Quartier, ihrem Wohnstandort. Eine funktionierende, lebendige soziale Infrastruktur wirkt dauerhaft einer Verwahrlosung des öffentlichen Raums entgegen.
    Grenzen, Ränder, Säume

    Die gezielte Ausformulierung von Grenzen, Rändern, Säumen ist ein weiteres Merkmal der neuen Siedlung. Grenzen und Ränder sind zum einen klar ausgearbeitet und die unterschiedlichen Nutzungen gegeneinander abgegrenzt. Damit werden Zuständigkeiten und Verantwortung definiert. Andererseits bleiben Zugängigkeit und Durchlässigkeit von Rändern und Grenzen gewährleistet. Plätze, Erschließungen, Spiel- und Streifräume sind für alle Bevölkerungsschichten nutzungsoffen, zugängig, durch einen möglichst geringen Grad einseitiger Funktionalisierung.
    An den Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum sind Säume als Gestaltungsprinzip vorgesehen, welche die ansonsten im Siedlungsraum oft vorfindlichen harten Barrieren aufweichen und als jeweils gestaltbare Fläche des Siedlungsraums zur Identifikation mit dem Wohnblock, dem Quartier beitragen. Auf vorgetäuschte, „administrative“ Ränder, wie Straßenbegleitgrün, Grünbordüren, Abstandsgrün, wird weitgehend verzichtet.
    Auch der Übergang zur Landschaft ist als „Ortsrand“ mit Ortsrandweg, Obstbaumgruppen, extensiven Wiesenstreifen zur angrenzenden Landwirtschaft und kleinen Retensionsbecken deutlich ausgearbeitet, nutzungsoffen und hat eine hohe Erschließungsdichte, da er gleichzeitig eine wichtige überörtliche Radwegeverbindung herstellt. Er kompensiert auch die durch die hohe Baudichte erzwungenen räumlichen Defizite und kann ein Rückzugsraum für Jugendliche werden.

    Freiraumhierarchie

    Von den Hausgärten bis zu den öffentlichen Plätzen, von den Erschließungen, die größtenteils als Spielstraßen konzipiert sind, bis zu den dysfunktionalen Spiel- und Streifräumen am Ortsrand, sind die alters-(gruppen)spezifisch unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigt: es gibt privat verfügbare Gärten/Terrassen, Gemeinschaftsgrünflächen im Geschosswohnungsbau, Spielstraßen und Pocketparks mit Spielplätzen. Es gibt Nachbarschaftsplätze und quartiersöffentliche Plätze, Plätze an den Mobilitätszentren, den zentralen Stadtteilplatz und einen Stadtteilpark.

    Plätze, Parkanlagen, Adresse

    Die gesamte Siedlung ist von einem engmaschigen Geflecht von Plätzen mit unterschiedlichen Charakteren durchzogen: Nachbarschaftsplätze (Places de ruelles), Quartiersplätze (Places du quartier) an den Mobilitätszentren, platzartig erweiterte Wege und „Pocketparks“ und der zentrale Stadtteilplatz.
    An diesem attraktiven, zentral gelegenen Place du village, mit seinem Wasserspiel, liegen die Gemeinschaftseinrichtungen: die neue Schule, eine Kindertagesstätte, ein Gemeinschaftshaus, ein „Bâtiment mixte“ und die Haltestelle für den öffentlichen Nahverkehr. Er leitet über in den mittig gelegenen, naturnahen Stadtteilpark, einer weitläufigen, offenen, baumbestandenen Wiesenfläche, mit einem aus Regenwasser gespeisten See. Dieses Ensemble ist das Entrée des „nouveau village Elmen“ und wird wesentlich zur Adressbildung beitragen. Zwei jeweils östlich und westlich gelegene Parkanlagen werden den im Ausbau befindlichen ersten Abschnitt mit den beiden weiteren geplanten „Dörfern“ verbinden.

    Materialien

    Für den privaten Garten bleibt die materielle Ausstattung auf den befestigten Austritt (die Terrasse), die Rasenfläche, einen Geräteschuppen und die notwendige Umgrenzung (Hecke/Sichtschutz) beschränkt.
    Die öffentlichen Wege, Plätze und Erschließungen erhalten hochwertige Betonwerksteine, die je nach Straßenhierarchie zwei unterschiedliche Oberflächen haben. Abhängig von der Nutzungsintensität sind auch wassergebundene Wegedecken vorgesehen. Die Baumscheiben sind offen, vegetationsfähig und erhalten eine ruderale, blütenreiche Aussaat, in intensiv genutzten Platzflächen und engen Erschließungen auch Baumroste. Auch werden möglichst viele vegetationsfähige Säume entstehen.

    Umwelt, naturräumliche Qualitäten

    Umweltbelange wurden vorab ausgiebig in einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) abgehandelt, die Ergebnisse sind in die Planung eingeflossen. Umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen waren als Ersatz für den Verlust des Jagdgebietes des Schwarz- und Rot-Milans vorzusehen. In einem an die Topografie angelehnten Modell wird sämtliches Oberflächenwasser der Wege- und Dachflächen in einem ausgeklügelten System von offenen und geschlossenen Rinnen abgeleitet sowie in offenen oder geschlossenen Retentionsbecken und einer Vielzahl offener Wasserflächen zwischengespeichert und verzögert an den Lätzebach abgeleitet. Hochwasserspitzen in Bächen und Flüssen werden dadurch abgemildert. Soweit Wege untergeordnete Funktionen haben, erhalten sie eine wasserdurchlässige, verdunstungsfähige Oberfläche.
    Bei der Planung wurden die natürlichen Landschaftsfaktoren berücksichtigt, die Bebauung entlang der Höhenlinien entwickelt und natürliche Senken von Bebauung freigehalten. Dadurch können die natürlichen Boden-Wasserleiter sowie der Kaltluftabfluss und -austausch erhalten bleiben und nachhaltig für die künftige Bebauung positiv auf das Stadtklima wirken.
    Die vorhandenen Landschaftsstrukturen bleiben zugängig, vorhandene Wegeverbindungen werden aufgenommen.
    Nord-Süd- und Ost-West-orientierte Wege dienen auch der Durchlüftung der neuen Siedlung. Eine üppige Durchgrünung, mit – den räumlichen Situationen angepassten – kleinkronigen oder grosskronigen Straßenbäumen, fördert die Lufthygiene, bindet Staub und mildert sommerliche Temperaturextreme. Aufgrund des extrem lehmigen Bodens werden die alleine für den öffentlichen Bereich geplanten 313 Solitärbäume in speziell vorbereitete Pflanzgruben gesetzt. Die Artenauswahl ist auf den sich anbahnenden Klimawandel abgestimmt. Alle Flachdächer erhalten eine extensive Dachbegrünung.
    Die Wohnquartiere sind autofrei, ein Befahren der Erschließungswege mit privatem PKW ist nicht gestattet. Hiervon ausgenommen sind Notfälle sowie Versorgungs-, Rettungs- und Müllfahrzeuge. Die dafür vorgesehenen Wege sind mit entsprechenden Profilbreiten geplant.

    Das Gesamtprojekt wird in drei Abschnitten umgesetzt. Für den ersten Bauabschnitt, mit 750 Wohneinheiten, wurde am 27. Sept. 2018 der erste Spatenstich, der Premier coup de pelle, getätigt.

    • Typ: Städtebauliches Projekt
    • Zeitraum: 2014-2022 (LP1-4, Teilbereiche 5-8)
    • Bauherr: Société Nationale des Habitations à Bon Marché S.A.
    • Ort: Kehlen, Luxembourg
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